Zurück zu Siedlerverein

Es war einmal … – Auszug aus dem Eichkamp-Buch

Eichkamp

Es war einmal

… der „Willmersdorffische Eichlkamp“

1760 soll es ein gut gehegtes, zum Gutsbezirk Spandau-Forst gehörendes Waldgelände gewesen sein, bewachsen mit vielen jungen Eichen. Später stand in diesem Gebiet die Försterei Charlottenburger Feld. Sie wurde 1879 abgerissen. Danach entstand für die Königliche Oberförsterei Grunewald und den Schutzbezirk Grunewald .im heutigen Grunewald-Jagen 56 ein neues Forsthaus, dem man den Namen Eichkamp gab.! Die Bezeichnung Eichkamp wurde auf die noch heute bestehende Siedlung übertragen, die 1919 am nordöstlichen Rand des bis dahin ausschließlich als Naherholungsgebiet genutzten Waldgebietes projektiert wurde.

Die große Wohnungsnot und der Hunger des Großstädters nach eigenem Besitz und eigener Scholle, nach Wiederverbundensein mit der Natur; hat trotz der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse die Siedlungstätigkeit überall nach dem Kriege aufleben lassen. So sind in Wilmersdorf, Charlottenburg und Schöneberg, auch an der Peripherie, wie im Grunewald, eine ganze Reihe von Kleinhaussiedlungen entstanden, in denen die Ansiedler ihr kleines Häuschen und ihr 5tückchen Land zu eigener Bebauung und eigener Kleintierzucht innehaben und sich nach getaner Berufsarbeit auf eigener Erde betätigen oder erholen können.

Ca. 1915

… eine“Siedelung“ in Wilmersdorf

Im Sommer 1928 waren das für gemeinnützigen Wohnungsbau freigegebene Waldgelände schon weitgehend bebaut und die meisten der vorhandenen „Siedelungshäuser“ bereits bezogen. Folgt man der zeitgenössischen Darstellung eines engagierten Siedlungsbewohners, so befanden sich unter den 400 Hausbesitzern neben einigen bedeutenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens durchweg Männer in guter Stellung und entsprechend sicheren Einkommensverhältnissen zu finden:

Hier wohnt ein leibhaftiger Ministet; ein Staatssekretär; der Stadtbaurat von Berlin, hier wohnen ferner hohe, mittlere und niedere Reichs-, Staats- und Kommunalbeamte, Juristen, Mediziner; Ingenieure, Kaufleute und Ge werbetreibende. Bis 1928 hatten vor allem Angehörige des gehobenen Mittelstandes in der noch zum Bezirk Wilmersdorf gehörenden „Siedelung“ zwar keine herrschaftlichen, aber durchaus standesgemäße Wohnungen gefunden:

So ganz klein sind die Häuser auch nicht, denn sie enthalten fast alle vier bis sechs Zimmer mit 80 bis 140 Quadratmeter Wohnraum, ferner größtenteils noch mit Erkern, Veranden und Balkons, Dielen, Waschküchen, Boden- und Kellerräumen und rund je 500 Quadratmeter Garten. Die Preise belaufen sich auf 25.000 bis 45.000 RM. Im Übrigen liegen die Häuser wirklich im Grünen und sind vom Grunewald umgeben

Doch nicht allein die unmittelbare Grunewaldnähe scheint die damalige Attraktivität der „Wohnsiedlung Eichkamp“ ausgemacht zu haben, so schön die grüne Umgebung empfunden wurde. Nur zusammen mit einer einmalig guten Verkehrsanbindung konnte sie in jenen fast noch gänzlich autofreien Tagen als vorteilhaft empfunden werden:

Es gibt nicht eine Siedlung in der Umgebung Berlins, die so unmittelbar von Wald umgeben gleichzeitig so gute Verkehrsmöglichkeiten hat, wie die Siedelung Eichkamp. Sowohl der Bahnhof Grunewald, als auch der demnächst zur Inbetriebnahme gelangende Bahnhof Eichkamp in drei bis zehn Minuten zu erreichen. Die hiesigen Einwohner sind nach dem Fortgehen von ihren Wohnungen in 15 Minuten am Zoo und in 30 Minuten auf dem Bahnhof Friedrichstraße

»Unser Garten grenzte an das freie Feld, die hohen Kiefern, rundherum andere Siedlungshäuser. Unser großes Turngerät und die Wiese diente uns und Schulkameraden als beliebter Spielplatz. Über den Zaun ging’s an den Teufelssee zum Baden und mit dem Fahrrad unter der Unterführung der S-Bahn durch ins Gymnasium.«

…ein „Dorf mit Stadtbahnanschluß“

Auch Rudolf  Zipkes, der seit 1920 im Eichkatzweg wohnte, hob in einer Schilderung  von 1930 „Stadtbahnanschluß“ als besondere Attraktion der Neubausiedlung hervor. Mit seiner Darstellung skizzierte der damalige Primaner eine „sonderbar“ anmutende Dorfszenerie:

Ernst und Rudolf Zipkes auf dem Turngerüst in ihrem Garten, Im Eichkamp 61, 1929

Ja, es ist schon ein sonderbarer Flecken, dieses Eichkamp. Ein richtiges Dorf und doch modern, ein Dorf mit Stadtbahn-anschluss!  Wenn du am Morgen aufwachst; krähen die Hähne zum Fenster herein und das geschäftige Gackern der Hühner erinnert doch an Sommerfrische. Über den Gärten kreisen die Tauben in immer gleichem Bogen. In den Gärten schaffen die Leute so oft sie Zeit haben, pflanzen, jäten, graben, rechen. Hunde gibt es genug, die frei herumlaufen und ihr Gebell schallt hin und zurück Rede und Antwort über die Straßen. Ställe gibt es, in denen Ziegen stehen und der Mist dampft an den Zäunen. Und doch ist es ein merkwürdiges Dorf. Fährt ein feines Auto durch, sieht sich keiner danach um. Aber wir sind ja gar kein Dorf, wir sind eine S i e d e l u n g, unsere Voraussetzungen sind ja ganz andere. Wir arbeiten in der Stadt; sind zwanzig Minuten davon entfernt. Wir sind nicht abgeschlossen, wie die Menschen eines Dorfes. Wir sind moderne Menschen, die das Glück haben, auf dem Lande feiern und schlafen, in der Stadt arbeiten zu können.4

Geschichten, die am Ende der Weimarer Republik über das Leben in der „Siedelung Eichkamp“ veröffentlicht wurden, zeichnen ein ländliches Idyll:

Vom Bahnhof Zoo sind es nur 10 Minuten mit einem gewöhnlichen Stadtbahnzug bis Eichkamp. Das genügt, uns hinauszutragen in das Milieu einer kleinen deutschen Stadt mit niedlichen Straßen und Häusern, weit entfernt vom Toben, Lärm und Staub der Metropole. Man steigt aus dem im Grunde liegenden Bahnhof und steht vor einer hübschen Grünanlage, die von einem Stückchen Wald umgeben ist. Überquert man diesen kleinen Platz, dann kommt man an (…) eine der vier Grenzstraßen Eichkamps. Ein paar Schritte hier entlanggehen, links einbiegen: man ist Am Pliederbusch. Nicht viel mehr als ein festgetretener Sandweg, den zu beiden Seiten schöne Gärten säumen, in denen niedliche und höchst saubere kleine Häuschen stehen. (…) Keine Autos, keine Fuhrwerke, die ganze „Straße“ ist nur 6 1/2 Meter breit. (…) Eine Querstraße: der Lärchenweg. Hier das gleiche Bild wie Am Fliederbusch. Wie idyllisch schön ist es hier: Wenn man ihn hinuntersieht, kann man hinten schon das Ende der Häuser; die Grenze der kleinen Stadt, erblicken. Man könnte denken, es sei Sonntag, so still und beinahe feierlich ist es. Nur wenige Menschen sind in den Straßen zu sehen. Hier gibt es keine weiten Wege.(…) An der Ecke des Königswegs, der Hauptstraße, und des Dauerwaldweges nimmt man Abschied von Eichkamp. Nur wenige Schritte unter der Avus hindurch und man ist auf dem Bahnhof Grunewald. Hier weht ein anderer Wind“

Der Verfasser dieser Miniatur hatte anscheinend wenig Zeit, denn er verzichtete darauf, auch die westliche Hälfte der „Siedelung“ kennen zu lernen. So erfasst seine Schilderung, wie so viele andere, nur einen Teil des „wirklichen“ Eichkamp.

Aquarellzeichnung von Rudolf Zipkes, 1927

…der „echte Eichkamp“
Lage und Ausdehnung der Siedlung Eichkamp, mit deren Bau 1920 begonnen wurde, sind seit Ende der zwanziger Jahre eindeutig feststellbar: Jenseits der Avusstraße nördlich des Bahnhofs Grunewald erstreckte sie sich schon damals. Die Waldschulallee und der Dauerwaldweg bildeten bereits die Nord- und Südgrenze, die Eichkampstraße und der Kühle Weg, beziehungsweise ein Schulgelände, sind schon um 1930 klar als topographische Begrenzungen im Osten und Westen auszuma- chen. Was Berliner Stadtpläne seit Jahrzehnten übereinstimmend dokumentieren, wird aber vom kollektiven Gedächtnis nicht unbedingt bestätigt. Alteingesessene Bewohner kennen mitunter andere Grenzziehungen und definieren auf dieser Basis, was den „eigentlichen“, den „wirklichen“, den „echten“ Eichkamp ausmachte. Zu Eichkamp wird oft nur jener Siedlungsteil gezählt der 1921/22 als erster fertiggestellt werden konnte:

Der echte Eichkamp, das ist der älteste Teil, der zwischen Lärchenweg, Eichkatzweg, Buchenweg (heute: Maikäferpfad) und Eichkampstraße liegt! Mancher spricht in diesem Zusammenhang auch von Eichkamps „Urzelle“. Für andere Ur-Einwohner gehören schließlich alle Häuser zum „echten“ Eichkamp, die bis 1924 errichtet und verkauft wurden von jener Wohnungsbaugesellschaft, die 1919/20 den Bau der Gesamtsiedlung geplant und in Gang gebracht hatte: Eichkamp war für uns immer das Gebiet Alter Allee und Lärchenweg. Nur die kleinen Häuser im Eichkatzweg gehören dazu und die etwas größeren an der Eichkampstraße. Alte Bewohner stellen in diesem Kontext klar, welche Straßen „eigentlich nicht“ zum Eichkamp gezählt wurden: Hornisgrund gehörte für uns nicht zu Eichkamp sondern zu Grunewald. Was für den 1928/29 bebauten Hornisgrund galt , bezog sich auch auf die Häuser im Falterweg, die von ein und derselben kommunalen Wohnungsbaugesellschaft errichtet wurden. Einiges deutet daraufhin, dass nicht allein das Baujahr den Ausschlag dafür gab, diesen Ende der zwanziger Jahre fertig gestellten Siedlungsteil in den Köpfen vom „echten Eichkamp“ abzutrennen und dem Wilmersdorfer Ortsteil Grunewald zuzuschlagen. Die soziale Zusammensetzung, die Mentalität und der Lebensstil der Hausbesitzer im Hornisgrund und Falterweg einerseits und der „echten“ Eichkamper andererseits, scheinen diese definitorische Abgrenzung zumindest mitbegründet zu haben.

Eichkatzweg 7; ca. 1925

Eine einstige Bewohnerin aus der Eichkampstraße brachte deutlich zum Ausdruck, was dieser Differenzierung zugrunde lag: Wir waren zu klein verglichen mit dem Großbürgertum, das zu Grunewald gehörte. Hier in Eichkamp wohnten Akademiker und ehemalige Offiziere aus dem ersten Weltkrieg. Aber sie hatten alle kein großes Geld. Aus der Perspektive einer ehemaligen „Falterweglerin“ werden die mentalen Unterschiede zwischen Eichkamp und Eichkamp konkret fassbar: Heute ist das nicht mehr so, aber früher schon. Wir hier waren die versnobten Falterwegle1, das Gebiet da oben, Alte Allee bis zum Lärchenweg, das war für uns das „Hosenträger-Eichkamp“. Die Alte Allee wurde demnach als soziale Trennlinie erfahren. „Hosenträger-Träger“, die im „echten „Eichkamp“ diesseits der Alten Allee wohnten, und „Snobs“, die sich bevorzugt jenseits der mit alten Eichen bewachsenen Alten Allee (sprich: „in Grunewald“) niedergelassen hatten, verkehrten anscheinend wenig miteinander. Glaubt man „echten“ Eichkampern, so soll diese soziale Distanz im Alltag auch dadurch gepflegt worden sein, dass möglichst andere Bahnhöfe benutzt wurden: Die „echten“ Eichkamper von diesseits der Alten Allee bevorzugten demnach den seit 1928/29 bestehenden neuen Bahnhof Eichkamp, während die als „versnobt“ geltenden Bewohner von jenseits der Alten Allee auf Bahnhof Grunewald fixiert gewesen sein sollen.

…. ein „Klein -Wedding“

Was im Süden die Alte Allee war, scheint im Norden der Lärchenweg gewesen zu sein. Auch der Lärchenweg stellt sich in den Erzählungen der Zeitzeugen als eine eindeutige Grenze dar. „Diesseits des Lärchenwegs“ gehörte zum „echten Eichkamp“. ,Jenseits des Lärchenwegs“ lag folgerichtig eine Welt, die nicht zu Eichkamp gezählt wurde. Dort lebten Arbeiter und Gewerk-schafter, die – aus dem Blickwinkel der „echten“ Eichkamper- eigentlich in den Wedding gehörten. Die definitorische Trennlinie, die zwischen „echtem“ Eichkamp und zwischen Am Vogelherd und Am Fliederbusch gelegenen „Klein- Wedding“ gezogen wird, scheint vor allem „sozial“ begründet, da die Errichtung dieses Siedlungsteils ebenfalls 1921/22 erfolgte. Die Bauhüttensiedlung, in der noch in den sechziger Jahren viele Bauhandwerker wohnten, unterschied sich andererseits aber auch von jenen Siedlungs bschnitten, die nach 1925 von gewerkschaftsnahen Wohnungsbaugesellschaften in den Straßen Am Vogelherd und im Zikadenweg errichtet wurden: Es bestand bildungsmäßig ein ziemliches Gefälle zur Bauhüttensiedlung. Der Zikaden weg war ausgesprochen gut bürgerlich, in unsere Tautseidlung gab es sogar ein paar sehr Musische.In diesem Siedlungsteilen mit ihren vergleichweise großen und noch heute ausgesprochen modern anmutenden Doppelhäusern fanden Arbeiter aus dem Bausektor keinen Platz. Hier ließen sich „Geistesarbeiter“ und Funktionäre der sozialdemokratischen Arbeiter- und Angestelltenbewegung nieder. Es war demnach die politische Orientierung, welche die Gewerkschaftshäuser mit den meisten Bewohnern von „Klein-Wedding“ verband: Dort waren die Roten, man sah es an den Wahltagen an den Fahnen, die draußen hingen. Auf der Straße, wenn man zum Bahnhof Eichkamp geht, besonders Am Vogelherd, waren vor 1933 oft Parolen zu lesen:“ Vorwärts KPD“. Dort fanden zum Teil auch richtige Kämpfe statt. Nach 1933 wurde unsere rote Siedlung schnell braun. Zumindest sah es nach außen so aus: Überall hingen Hakenkreuzfahnen, meine Mutter hat gleich am 30.Januar diese Fahne rausgehängt.

… ein“bohemigerWind“

Obwohl in der anderen Welt, die sich Ende der zwanziger Jahre zwischen Zikadenweg und Eichkampstraße „jenseits des Lärchenwegs“ erstreckte, oft ein bürgerlicher Lebensstil ge- pflegt wurde, sprachen viele Ur-Einwohner „diesseits des Lärchenwegs und der Alten Allee“ diesen Siedlungsteilen die Zugehörigkeit zum „echten Eichkamp“ ab. Die bei aller Bürgerlichkeit bis 1933 vorherrschende sozialistische Weltanschauung ließ sich nicht in das enge Eichkamp-Bild integrieren, das an einer „Urzelle“ festhielt: Der ältere Teil des Siedlungsgebietes zwischen Lärchenweg und Waldschulallee war Arbeitersiedlung. Dagegen waren die Bewohner der Häuser; die an der Eichkampstraße lagen, bes- ser gestellt. Am anderen Ende der Waldschulallee wohnte die Intelligenz, es gab dort einige Prominente und Professoren. Dieser ganze Teil bildete „die Rote Kolonie“. Sie machte aber nicht den eigentlichen Eichkamp aus.

Tuschefederzeichnung
von Rudolf Zipkes, 1927

Bisweilen drehten alte Angehörige der „roten Kolonie“ den Spieß um und behaupteten: „Der echte Eichkamp, das waren wir!“ So kam es, dass der ganze Eichkamp 1933 in dem Ruf stand, eine „rote Kolonie“ zu sein. Alte Sozialdemokraten sind noch heute davon überzeugt, dass diese „jenseits des Lärchenwegs“ verwurzelte „rote Kolonie“ dazu beitrug, dass aus Eichkamp „nie ein bösartiges Nazinest“ wurde und dort zwischen 1933 und 1945 „weiter ein bohemiger Wind“ wehen konnte.

….eine Kolonie von Selbsthelfern

In den Häusern, die oberhalb des Hornisgrunds von 1924 bis 1928 zwischen Dauerwaldweg und Maikäferpfad von der privaten „deutschen“ Baugenossenschaft „Selbsthilfe“ erbaut wurden, kann man derartige Zusammenhänge nicht sehen: Wir Eichkamper waren traditionell DNVP, wir waren keine Nazis. Und wer von hier in die NSDAP eingetreten ist, war dazu gezwungen, aus beruflichen Gründen. Auch aus dieser Perspektive zählen die von gewerkschaftsnahen Wohnungsbaugesellschaften errichteten Siedlungshäuser und ihre Bewohner nicht zum „echten“ Eichkamp. Dies scheint vor allem für die ansehnlichen, von Taut erbauten Doppelhäuser im Zikadenweg zu gelten. Aber auch die „Villen“ im Falterweg trifft das Verdikt, „ursprünglich“ nicht zu Eichkamp gehört zu haben: Sie gehörten nicht zu uns. Deshalb können wir auch nichts von ihnen wissen.

… Nichtwissen

Nichts zu wissen über die Geschichte(n) der von anderen Bauträgern errichteten Siedlungsteile und eine enge Definition dessen, was und wer gestern zum „echten Eichkamp“ dazugehörte, sind offensichtlich nicht voneinander zu trennen. Ob es schon immer so war, dass man in den einzelnen Siedlungsteilen nichts bzw. wenig voneinander wusste? Oder verbreitete sich die Praxis des Nichtwissens erst später? Griff dieses Nicht-Wissen( -Können) möglicherweise erst 1933 oder sogar erst nach 1945 um sich? Diese Fragen drängen sich auf, weil just in den Siedlungsteilen, die von vielen Ur-Einwohnern nicht so recht Zum „echten Eichkamp“ gezählt werden, überdurchschnittlich viele Menschen wohnten, die zur Zeit des Nationalsozialismus von politischer und/oder rassischer Verfolgung betroffen waren, Das Festhalten an Eichkamp-Definitionen, die so gut wie nicht über die Grenzen des eigenen kleinen Siedlungsteils hinausgingen, lässt auch vermuten, dass sehr viele Ur-Einwohner kaum Kontakt untereinander hatten. Wer aber keinen Kontakt zu anderen Siedlungsteilen pflegte, konnte diese auch nicht in sein Eichkamp-Bild integrieren.

eine Jugend in Eichkamp

Auch in der autobiographischen Erzählung Das zerbrochene Haus kann man diesen Mechanismus am Werk sehen. So gelang es ihrem Autor Horst Krüger nicht, ein „richtiges“, sprich umfas- sendes Bild vom Leben im Eichkamp der dreißiger Jahre zu entwerfen. Der Schriftsteller unterlag dem Zwang, Erlebnisse und Erfahrungen, die er in seinem engen Milieu im Eichkatzweg machen konnte, zu verallgemeinern: Kleinbürgertum hatte sich hier im Grünen niedergelassen. Hier wohnten nicht Großbürger wie in der Villenkolonie Grunewald. Hier wohnten auch keine Arbeiter wie in Spandau oder am Wedding. Deutschnationales Kleinbürgetum zog hierher: Eichkamp war die Welt der guten Deutschen, etwas beschränkt; aber treu, arbeitsam und ganz ohne Überblick. Man war nicht mehr kaisertreu, aber der Weimarer Republik war man auch fremd geblieben. Arbeit; Ruhe und Ordnung galten als höchstes Ziel. Man war ohne politisches Bewußtsein. Eben deshalb hatten die Nazis später mit den Eichkampern ihr leichtes Spiel (..)

Manuela Goos, Brigitte Heyde

August 1999

Auszug aus dem Buch:
EICHKAMP Eine Siedlung am Rande mitten in Berlin
Herausgegeben vom Siedlerverein Eichkamp e.V.

ISBN 3-00-005125-2
Selbstverlag Siedlerverein Eichkamp e.V.
Copyright © 1999 Siedlerverein Eichkamp e.V.
Alle Rechte vorbehalten

Es steht natürlich in etlichen Bibliotheken und bei vielen Bewohnern/innen im Regal, war kurz nach dem Erscheinen vergriffen und ist nun nachgedruckt wieder erhältlich
(für 20€ bei Uwe Neumann, z.B. mit E-Mail an forum@siedlung-eichkamp.de)