von Uwe Neumann
Ein langes, ereignisreiches Leben voll Höhen und Tiefen, voller Begeisterung und Leidenschaft und einem nicht endenden Sendungsbewusstsein und ein Leben, dessen Mittelpunkt noch im Krieg Eichkamp wurde und bis zuletzt blieb.
Wolfgang Haney wurde 1924 in eine gut bürgerliche Familie – der Vater betrieb in Pankow eine Musikschule – geboren und wuchs, wie er erzählte, glücklich und behütet auf. Das änderte sich mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, denn nun war er ein „Judenlümmel“, weil er eine jüdische Mutter hatte, eine offenbar sehr liberale Jüdin, die ihren Sohn katholisch werden ließ, wie es der Vater war.
Als „Halbjude“, wie die Nazis solche Menschen „erbbiologisch“ bezeichneten, durfte Wolfgang Haney kein Abitur machen, wurde später aber zur Begabtensonderprüfung zugelassen und durfte nach der Maurerlehre ab 1941 an der Staatsbauschule studieren – eine der wunderlichen Entwicklungen in seinem Leben und gleichzeitig Widersprüchlichkeit nationalsozialistischer Politik, von denen es auch im Leben von Wolfgang Haney einige gab.Das So-Sein als „Halbjude“ bewahrte ihn immerhin davor, Soldat zu werden, denn das machte ihn „wehrunwürdig“!
Die wohl größte Herausforderung in seinem Leben – und ich denke, es war tatsächlich in seinem langen Leben die größte – trat ein, als er seine Mutter nach einer Vorladung der Gestapo in einem Wald bei Berlin versteckte, zunächst in einem Erdloch und später in einer selbst gebauten Holzhütte, bis er einen Bombenangriff auf Berlin dazu nutzte, seine Mutter für tot erklären zu lassen. Dies Erlebnis wird wohl ein wesentlicher Anstoß für seine spätere Leidenschaft, man kann auch wohl sagen Besessenheit, gewesen sein, immer und immer über Antisemitismus und Nationalsozialismus aufzuklären – dazu später mehr.
Wollte man alles aufzählen, was Wolfgang Haney in seinem Leben gemacht, welche Tätigkeiten er ausgeübt hat, würde das viele Seiten füllen, wie es einen ganzen Ordner mit vielen Dokumenten füllt. Herausgestellt sei hier nur, dass Herr Haney, der noch während des Krieges nach Eichkamp kam – und hier blieb – als politisch Unverdächtiger zunächst Leiter des Tiefbauamtes und kurze Zeit darauf Stadtrat für Bau- und Wohnungswesen in Charlottenburg wurde und in diesem Amt selbstverständlich auch direkt mit der vom Krieg schwer gezeichneten Siedlung Eichkamp zu tun hatte.
Wie er sich in dieser Position an Menschen rächte, die ihm und seiner Familie Unrecht getan und sie gedemütigt hatten, wäre eine eigene Erzählung wert. Diese tragischen Gegebenheiten bestimmten sein ganzes weiteres Leben und waren Anlass für eine seiner Leidenschaften, das Sammeln, zumindest in einer späteren Phase. Angefangen hat es wohl mit Münzen, irgendwann – durch einen zufälligen Anstoß – fing er an, alles zu sammeln, was er als Betroffener zu Antisemitismus, Nationalsozialismus und dem Holocaust bekommen konnte. Immer wieder hat er in Eichkamp über seine Sammlung berichtet und Dinge gezeigt, von denen man keine Ahnung hatte – wäre es nach ihm gegangen, er hätte noch viel mehr Vorträge gehalten – in einem Mitteilungsblatt vom Oktober 2002, als die Forumsreihe begann, habe ich formuliert, dass es sicher auch neben Herrn Haney Menschen in Eichkamp gibt, die etwas zu berichten hätten, so sehr hatte Herr Haney sich bis dahin schon eingebracht. Es drängte ihn auch über viele Jahre immer wieder, die Eichkamperinnen und Eichkamper an seinen Erlebnissen auf Reisen in alle Ecken der Erde – bei Haneys fragte man sinnvollerweise, wo sie noch nicht gewesen sind und nicht wo sie schon waren – teilhaben zu lassen. Neben dem Drang zu Information und Aufklärung war sicher auch immer ein Stück Eitelkeit dabei, zeigen zu können, was er im Laufe seines langen Lebens zusammengetragen hatte und wen alles er und wer alles ihn kannte.
Die Leidenschaft, die fast eine Besessenheit war, entwickelte sich zu einem Sendungsbewusstsein, das ihn umtrieb in dem Bestreben, seinen Mitmenschen die Augen zu öffnen für das viele Grauen und Unrecht. Zusammen mit seiner Frau, die ebenfalls jüdische Wurzeln hatte, ging er in viele Schulen, um junge Menschen zu informieren und aufzuklären. Dazu gehörte auch, seine Sammlung immer wieder für Ausstellungen und Bücher zu öffnen.
Er war kein brillanter Redner, aber er hatte viel zu sagen, und das in einer Art und einem Tonfall, die mitunter gleichgültig wirken konnten und sogar schon hin und wieder den Verdacht aufkommen ließ, er kokettiere mit seinem Kampf gegen den Antisemitismus und tendiere in Wirklichkeit vielleicht zu rechten Positionen, was allerdings eine vollkommene Verkennung war. Ich denke, sein manchmal tatsächlich „wurschtig“ wirkender Redestil, oft in Verbindung mit „wegwerfenden“ Handbewegungen, war ein Selbstschutz, um die eigenen Erlebnisse nicht zu dicht an sich heranzulassen.
Wie sehr diese Erlebnisse in ihm nachwirkten, zeigte sich zum Ende seines Lebens, als er nach einem Sturz kurzfristig in eine psychiatrische Klinik gebracht wurde, wo er plötzlich sagte, nun hätte man ihn doch noch gefangen und in ein (Konzentrations-)Lager gesteckt, was ihm als Jugendlicher und junger Mann doch erspart geblieben sei.
Zum Glück aber konnte er dann noch ein paar Wochen in freundlicher Umgebung in einem Pflegeheim, in dem ich ihn noch kurz vor seinem Tod besuchen konnte, verbringen. Nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt in Folge eines noch erlittenen Oberschenkelhalsbruchs ist Wolfgang Haney am 13. Oktober für immer eingeschlafen.
Wenn Herr Haney nicht gerade wieder irgendwo in Europa einen Vortrag hielt oder eine von ihm bestückte Ausstellung eröffnete, nahm er bei nahezu allen Veranstaltungen des Siedlervereins teil, und sei es nur, um seine Verbundenheit zu Eichkamp, dem Haus Eichkamp und dem Siedlerverein zu zeigen, denn bei aller Weltläufigkeit war Eichkamp sein Lebensumfeld und war Wolfgang Haney eine Eichkamper „Institution“. Da gibt es hier nun eine Lücke, die uns noch lange bewusst sein wird.